Die Fahrzeug- und Zulieferindustrie befindet sich seit Jahren in einem fundamentalen Strukturwandel. Doch was heißt das konkret für die Mobilitätsregion Braunschweig-Wolfsburg und die 200.000 Beschäftigen der Branche? Vor welchen konkreten Herausforderungen stehen sie momentan, welche Lösungsansätze sind die aussichtsreichsten und warum kann die Transformation nur gemeinsam gelingen? Darüber diskutierten heute 300 Gäste aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Gewerkschaften, Verbänden und Kammern. Sie kamen in der Autostadt Wolfsburg zur Auftaktveranstaltung des Förderprojektes „Regionales Transformationsnetzwerk Südostniedersachsen zur Entwicklung einer regionalen Transformationsstrategie in der Fahrzeug- und Zulieferindustrie (ReTraSON)“ zusammen. Dort erhielten sie Impulse über die Zukunftstrends der Branche und Einblicke in die Projektarbeit. Das Projekt ReTraSON wurde im Januar 2022 ins Leben gerufen, um eine gemeinsame Transformationsstrategie zu entwickeln. Die Allianz für die Region stellte den Förderantrag und übernimmt das zentrale Netzwerkmanagement. Knapp 7,6 Millionen Euro fließen für die Umsetzung aus Mitteln des Zukunftsfonds Automobilindustrie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz bis Juni 2025 in die Region.
Direkt nach der Fördermittelzusage im Januar nahmen die Allianz für die Region und ihre Partner die Arbeit im Projekt auf, mit dem Ziel, die Region Braunschweig-Wolfsburg als eine der führenden Mobilitätsregionen weiter zu stärken. „In dieser Region lässt sich gut wohnen, leben und arbeiten und es werden mit zukunftsweisenden Investitionen die richtigen Weichen für die Zukunft gestellt“, sagte Wendelin Göbel, Geschäftsführer der Allianz für die Region und betont: „Um die Wettbewerbsfähigkeit dieses einzigartigen Wirtschaftsstandorts weiter zu sichern und die Transformation zu gestalten, sind regionale Kooperationen mit einer engen Verzahnung von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zwingend notwendig. Das ist unser Herzstück im Projekt ReTraSON.“
Die regionalen IG Metall Geschäftsstellen sind als Projektpartner und Initiator von Anfang an dabei. „Die Betriebe der Fahrzeug- und Zuliefererindustrie stehen vor weitreichenden Herausforderungen, die wir nur gemeinsam meistern können. Mit dem Projekt ReTraSON werden bestehende Kooperationsbeziehungen gestärkt und neue aufgebaut. Gerade jetzt ist es wichtig, sich in Netzwerken zu organisieren. So ermutigen wir die Unternehmen, sich aktiv zu beteiligen“, sagte Matthias Disterheft, Geschäftsführer und Kassierer der Wolfsburger IG Metall.
Aktueller Projektstand und Trends der Branche bei der Auftaktveranstaltung
Die Referentinnen und Referenten der Auftaktveranstaltung gaben einen Überblick über die Projektinhalte und präsentierten erste Ergebnisse. Zu Beginn begrüßten die Oberbürgermeister von Braunschweig und Wolfsburg, Dr. Thorsten Kornblum und Dennis Weilmann, per Videobotschaft die Teilnehmenden im Panoramakino der Autostadt sowie via Livestream. Es folgten Grußworte des Helmstedter Landrats Gerhard Radeck und des Gastgebers Autostadt Wolfsburg durch deren Geschäftsführer Armin Maus.
Eine Projektbilanz nach den ersten neun Monaten Arbeit zog Thomas Ahlswede-Brech, Leiter Mobilität und Wirtschaft bei der Allianz für die Region. “Nach dem Aufbau des interdisziplinären Projektteams konnten wir bereits wichtige Kooperationspartner wie die TU Braunschweig, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und ITS mobility gewinnen sowie die für uns wichtige Ausgangsstudie zur Lage der Automobilwirtschaft durch die Prognos AG erstellen“, sagte Ahlswede-Brech. „Nun folgt die Beteiligungsphase für die Unternehmen, die sich aktiv in den TransformationsLabs einbringen können.“
Über Zukunftstrends aus dem Bereich der intelligenten und vernetzen Mobilität sprach Prof. Dr. Stefan Bratzel, Direktor Center of Automotive Management (CAM). “Die Automobilindustrie ist in der größten Transformation ihrer Geschichte, die durch die Zukunftstrends rund um Elektromobilität, das Software-definierte Fahrzeug oder das autonome Fahren bestimmt sind. Überlebenswichtig wird für die Unternehmen der Aufbau neuer Kompetenzen in den Zukunftsfeldern sowie neue strategische Kooperationen mit teils branchenfremden Akteuren“, betonte Bratzel.
Prof. Dr.-Ing. Ina Schaefer, Co-Vorsitzende des Expertenkreises „Transformation der Automobilwirtschaft“ vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), musste ihren Beitrag über den Status Quo der Digitalisierung in der Branche kurzfristig krankheitsbedingt absagen. Sie erklärte im Vorfeld, dass „die Digitalisierung der automobilen Wertschöpfung Möglichkeiten für innovative Geschäftsmodelle, aber auch neue Herausforderungen für Mensch und Technik schafft. Um diese Herausforderungen der digitalen Transformationen zu meistern, brauchen wir ganzheitliche Informatik-Kompetenz, sowohl im Top-Management, als auch bei der Informatikbildung in der Grundschule“.
Prof. Dr. Andreas Rausch, geschäftsführender Direktor des Institute for Software and Systems Engineering der TU Clausthal, schloss die Programmlücke und stellte in seinem Vortrag die Bedeutung der Software-Kompetenz in der Fahrzeugindustrie vor.
Ergebnisse der Situationsanalyse für die Region Braunschweig-Wolfsburg
Dass die Region eine der bedeutendsten Wirtschaftsstandorte Deutschlands ist, bestätigen auch die Ergebnisse einer Situationsanalyse, die Dr. Olaf Arndt, Vize-Direktor sowie Bereichsleiter „Region & Standort“ der Prognos AG vorstellte. Demnach gehört es künftig zu den wichtigsten Aufgaben für alle Beteiligten, Fachkräfte zu gewinnen und zu binden, die ökologische Transformation zu unterstützen, den Standort im Wettbewerb um Innovationen sowie Märkte und Menschen zu stärken sowie zu guter Letzt ein nachhaltiges Mobilitätssystem unter Sicherstellung der Mobilität zu schaffen. „Fachkräfte sind ein essenzieller Faktor der Zukunftsfähigkeit von Regionen. Attraktivität und Vermarktung sind daher wichtige Schwerpunkte für die Region Braunschweig-Wolfsburg“, betonte Arndt. Nur mit einer konsequenten Innovationsstrategie werde es der Mobilitätsregion gelingen, ihre Führungsrolle auch im Zeitalter der Mobilitätswende zu behaupten.
Ein Fazit der Analyse fasst es treffend zusammen: Die zunehmende digitale Vernetzung erfordert intensivere Zusammenarbeit und eine hohe Kooperationsbereitschaft der regionalen Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung, denn die Grenzen zwischen vormals abgeschlossenen Systemen verschwimmen. Die hierdurch entstehenden neuen Möglichkeiten lassen neue Märkte entstehen. Dazu zählen der Bau und Betrieb von Ladesäulen, Cyber-Security-Lösungen, die Analyse von Fahrzeugdaten, die Entwicklung einer vernetzten Verkehrsinfrastruktur und digitale Mobilitätsplattformen. Das ist eine zentrale Wachstumsperspektive der neuen klimafreundlichen und vernetzten Mobilitätssysteme.
Weitere Kernaussagen aus der Situationsanalyse
- Die Region Braunschweig-Wolfsburg ist einer der bedeutendsten Wirtschaftsstandorte Deutschlands. Sie erzeugt eine Wirtschaftskraft (BIP) von rund 60,2 Mrd. Euro und ist seit 2010 um 36 Prozent gewachsen.
- Die Region ist für ihre Innovationskraft und ihre technologische Stärke bekannt. Mit über 18.000 FuE-Beschäftigten ist sie ein führender Innovationstandort und stellt ca. vier Prozent der bundesdeutschen Entwickler. Sie würde selbst unter den deutschen Bundesländern auf den Rang 5 der Länder rangieren. Jeder zweite Forschungs- und Entwicklungsarbeiter Niedersachsens ist hier ansässig.
- Die Automobilwirtschaft ist der zentrale Wirtschaftszweig in der Region Braunschweig-Wolfsburg. Allein die Kernbranche stellt jeden fünften Arbeitsplatz in der Region.
- Wachsende Zukunftsbranchen wie Fahrzeugbau und unternehmensnahe Dienstleistungen in der Region haben große Bedeutung, allerdings sind weitere Zukunftsbranchen wie Kunststoffindustrie, Maschinenbau oder Herstellung von Metallerzeugnissen weniger stark lokalisiert.
- Die Region verfügt über eine positive Beschäftigungsentwicklung in der Region um +14,7 Prozent in den letzten zehn Jahren.
- Digital affine Menschen finden sich überproportional in der Region Braunschweig-Wolfsburg (überdurchschnittlicher Anteil digitaler Impulsgeber) im Vergleich zu Niedersachsen.
- Im Vergleich zu anderen Automobilregionen wie Stuttgart und Ingolstadt lässt sich für die Region Braunschweig-Wolfsburg ein höherer Transformationsdruck feststellen: weniger digitale Impulsgeber und weniger Gründungen.
Förderung aus dem Zukunftsfonds Automobilindustrie
Zur Unterstützung des Transformationsprozesses hatte die Bundesregierung im November 2020 die Einrichtung eines „Zukunftsfonds Automobilindustrie“ mit einer Milliarde Euro Fördermitteln beschlossen. Damit werden insbesondere branchenübergreifende Kooperationen und Netzwerke zur Entwicklung von nachhaltigen regionalen Konzepten, aber auch die Stärkung nachhaltiger Wertschöpfungsketten und geschlossener Wertstoffkreisläufe gefördert. Den Vollantrag auf die Förderrichtlinie „Transformationsstrategie für Regionen der Fahrzeug- und Zuliefererindustrie“ stellte die Allianz für die Region Anfang November 2021 auf Initiative der drei IG Metall Geschäftsstellen Braunschweig, Wolfsburg und Salzgitter-Peine. Kurz vor Weihnachten 2021 kam dann die Förderzusage vom Projektträger VDI/VDE Innovation und Technik. Knapp 7,6 Millionen Euro fließen nun aus Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz während der gesamten Projektlaufzeit bis Ende Juni 2025 in die Region Braunschweig-Wolfsburg nach Südostniedersachsen.
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